Was wir über das Muskelwachstum wissen
Highlights:
-es gibt mehrere Mechanismen des Muskelwachstums, die wichtigsten sind die Reparation von Mikroverletzungen, die durch Widerstandstraining verursacht werden und der Wachstumsfaktor der mittleren Hypertrophie.
-es ist nicht sicher, ob Hyperplasie stattfindet (Anstieg der Anzahl von Muskelzellen)
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In den 1960er Jahren begannen die meisten Artikel mit dem klassischen Satz: „Obwohl wir es geschafft haben, dass einen Mann auf dem Mond landen zu lassen, wissen wir noch nicht genau, was unsere Muskeln wachsen lässt.“
Gut, das wussten wir wirklich nicht – die bevorzugte Theorie zu dieser Zeit war die, dass das Muskelwachstum durch Milchsäure während der Übung verursacht wird.
Heute wissen wir, dass das falsch ist. Aber wir haben nicht die Fähigkeit verbessert, andere Himmelskörper als den Mond zu erreichen und wir verstehen auch den Muskelwachstumsmechanismus noch nicht richtig.
Die Mikrotraumata-Theorie (den vollständigen Artikel zu diesem Thema gibt es hier)
Als bekannt wurde, dass die Milchsäureproduktion nicht für die Hypertrophie verantwortlich ist, tauchte eine neue Theorie auf: während einer Widerstandsübung – insbesondere in den passiven Phasen (beim Absenken des Gewichts) – treten zahlreiche sehr kleine Verletzungen im Muskel auf, sodass der anhaltende Reparationsmechanismus für die Muskelhypertrophie verantwortlich ist (Vergrößerung der Muskelzellen) und eventuell Muskelhyperplasie (Anstieg der Anzahl von Muskelzellen).
Die Hormon-Theorie (den vollständigen Artikel zu diesem Thema gibt es hier)
Diese Theorie besagt, dass die wichtigsten Faktoren für den Muskelwachstumsprozess ein erhöhter Testosteron- und Wachstumshormonspiegel sind. Sie setzen abwechselnd eine Kaskade von Prozessen in Gang, die eine große Gruppe der Wachstumsfaktoren einschließen. Ein weiterer bewiesener Effekt des Testosterons ist, dass es Glukokortikoide von deren Rezeptoren entfernt, indem sie ihren Platz einnehmen, jedoch keine katabolische Reaktion starten, die normalerweise mit dem Vorhandensein von Glukokortikoiden verbunden ist.
Viele Auswirkungen von Testosteron und DHT (Dihydrotestosteron, dem wichtigsten Testosteronderivat) werden durch Androgenrezeptoren weitergeleitet.
Die Konzentration von Androgenrezeptoren ist nach dem Widerstandstraining erhöht. Die Blockierung der AR führt zu einem erheblichen Rückgang des Muskelmassenwachstums bei Versuchstieren.http://www.springerlink.com/content/l651840550t56gm3/
Die intrinsische Theorie (den vollständigen Artikel gibt es hier)
Diese neue Theorie basiert auf Untersuchungen von D.W. West und Kollegen. Sie argumentieren, dass es einen noch spezifischeren Weg geben muss, der zur Hypertrophie der Muskelfasern führt, da es keine Wechselbeziehung zwischen dem Testosteron- und HGH-Spiegel und dem Muskelwachstum (außer bei der pubertierenden Altersgruppe und supraphysiologisch dosiertem Testosteron) gibt.
Dieser Mechanismus wirkt intrinsisch auf den betroffenen Muskel (das bedeutet, begrenzt auf den Muskel und nicht systematisch). Er wurde als „akute Aktivierung der intrinsisch angesiedelten Signalproteine wie z. B. p70(S6K) und der akute Anstieg der Muskel-Protein-Synthese“ beschrieben.
Hypertrophie versus Hyperplasie (den vollständigen Artikel gibt es hier)
Die wichtigste unbeantwortete Frage ist, ob das Muskelwachstum durch das Wachstum der einzelnen Muskelzellen (Hypertrophie) oder dem Anstieg der Anzahl der Muskelzellen (Hyperplasie) verursacht wird.
Nun fragt man sich vielleicht, wie das möglich ist. Es sollte doch einfach zu prüfen sein: die Autopsie eines kleinen, untrainierten Muskels und einer großen, trainierten Muskel vorzunehmen. Wenn die Zellen in dem großen Muskel sehr groß sind, stimmt die Hypertrophie-Theorie. Wenn sie dieselbe Größe wie in dem „kleinen“ Muskel haben, ist die Hyperplasie-Theorie korrekt.
Nun, glaube es oder nicht, aber das ist genau das, was zahlreiche Wissenschaftler getan haben und die Ergebnisse waren in jeder Untersuchung verschieden. Während also einige Studien die Hyperplasie-Theorie bestätigten, widerlegten die anderen diese.
Sarkoplasmatische versus myofibrilläre Muskelwachstumstheorie (den vollständigen Artikel gibt es hier)
Es sollte beachtet werden, dass die Theorie von Trainern und nicht von Wissenschaftlern stammt, obwohl sie ihren Weg auch in einige (eher wenige) wissenschaftliche Fachzeitschriften fand.
Die Befürworter dieser Lehre behaupten, dass Bodybuilder überwiegend durch sarkoplasmatische Flüssigkeit aufgeblähte Muskelfasern haben, im Gegensatz dazu unter anderem Powerlifter, die (in der Theorie) effizientere Muskeln haben, die überwiegend aus Eiweißen bestehen.
Diese Überzeugung wird von den Beobachtungen bei Muskelbiopsien nicht unterstützt.
Möglicherweise entstammt sie der Tatsache, dass Bodybuilder in einer bestimmten Gewichthebeübung selten dieselbe Kraft entwickeln können wie Powerlifter.
Jedenfalls ist es bekannt, dass das ZNS (zentrale Nervensystem) hier eine entscheidende Rolle spielt. Die Fähigkeit des ZNS, eine maximale Anzahl von einzelnen Muskelfasern während einer bestimmten Bewegung zu aktivieren, kann erlernt werden und dieser Mechanismus ist völlig unabhängig vom Wachstum der Muskelmasse.
Dafür ist es fast sicher, dass die außergewöhnliche Fähigkeit von Gewichthebern, das schwere Gewicht zu heben, durch die Leistungsfähigkeit des ZNS und der verfügbaren Muskelmasse bestimmt wird, die Muskelfasern zu aktivieren (hierzu mehr im Artikel über KRAFT).
Was wir sicher wissen
- Muskelwachstum wird durch die Proteinbiosynthese in trainierten Muskeln verursacht.
- Muskelwachstum ist intrinsisch, nicht systematisch. Andernfalls würde das Widerstandstraining, das irgendeinen einzelnen Muskel beansprucht, dazu führen, dass alle Muskeln wachsen würden.
- Testosteron spielt eine Rolle. Es ist klar, dass Männer größere Muskeln als Frauen haben.
- Wachstumshormone sind nicht direkt verantwortlich. Die Einnahme von Wachstumshormonen führt zum Wachstum der Sehnen, aber nicht der Muskel.
- Während erhöhte Testosteronwerte unabhängig von jeglicher körperlicher Betätigung zu Muskelwachstum führen, findet das wesentliche Wachstum lokal in dem trainierten Muskel statt.
- Allein das Widerstandstraining führt zu Muskelwachstum. Andere Arten körperlichen Trainings können die Kraft oder die Ausdauer erhöhen, vergrößern aber nicht die Muskelmasse.
- Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren spielen eine wichtige Rolle für das Muskelwachstum. Die Einnahme von Insulin wird jedoch nicht das Muskelwachstum fördern (und verursacht wahrscheinlich ernsthafte gesundheitliche Probleme).
- Vererbung spielt eine Rolle. Unterschiedliche Menschen haben auch eine unterschiedliche Anzahl verschiedener Arten von Muskelfasern. Deshalb können wir dazu neigen, in bestimmten Sportarten besser zu sein.
Was bedeutet das nun alles für uns?
In der Praxis ist es dies, was ein Bodybuilder wissen sollte:
- Widerstandstraining ist am effektivsten mit 70 % bis 90 % des persönlichen Maximums, das bei einer Wiederholung geschafft werden kann
- Drei Sätze einer Übung stimulieren die Proteinbiosynthese bewiesener Maßen mehr als nur ein Satz
- Die Proteinbiosynthese ist für wenigstens 24 Stunden nach der Übung erhöht (der Rahmen für Proteinsupplementation)
- Der passive Moment (Absenken des Gewichts) ist für das Muskelwachstum mindestens genauso wichtig wie der aktive Moment (Heben des Gewichts)
- Insulin und das Wachstumshormon haben keinen Einfluss auf das Muskelwachstum
- Testosteron-Supplementation steigert das Muskelwachstum (Vorsicht jedoch mit Nebeneffekten wie Impotenz; von den rechtlichen Gesichtspunkten abgesehen – Testosteron und seine Ableitungen gelten in den USA und den meisten anderen westlichen Ländern als Narkotikum)
- Leistungssteigerung (Kraft) ist nicht unbedingt an die Vergrößerung der Muskelmasse gebunden.